Der in Ostberlin lebende Buchillustrator Gerhard Lahr war der Ansicht, das Berlin, wie New York und Tokyo ebenfalls mit einem „Y“ geschrieben werden müsste. Das „Y“ stellte Gerhard Lahr als Y-Abweiser dar und stellte damit einen direkten Bezug zur Berliner Mauer der ‚ersten‘ Generation her. Diese Mauer hatte ein archaisches Aussehen, da der Abschluß aus sogenannten Y-Abweisern bestand, die mit Stacheldraht bespannt waren und als Übersteigschutz wirken sollten. Diese Erscheinungsform ähnelte stark den KZ-Mauern aus der Zeit des Nationalsozialismus und wurde deshalb auch häufig als KZ-Mauer bezeichnet.
Nach der Öfnung der Mauer erhielt Gerhard Lahr einen Brief von seinem Freund Oleg Gorsanow, der seine Freude über die Maueröffnung ausdrückte. Dieses Schriftstück klebte Gerhard Lahr auf sein Bild und veröffentlichte damit ein Zeugnis ehrlicher Freude.
Gespräch mit Gerhard Lahr (15. September 1997)
Interview mit Gerhard Lahr am 18.10.1998. Idee, Kamera, Ton und Edit: Ralf Gründer, Berlin (18.10.1998)
Die Wandlung vom Kunstwerk zur Dekoration
Am Beispiel dieses Briefes wird deutlich, wie vormals filigrane Kunst, hier in Form eines „Ready Mades“ (Kopie eines Briefes) zu profaner Dekoration verkommt. Über die Freude am „Fall“ der Mauer schrieb ihm sein Freund aus Leningrad einen Brief, den Gerhard Lahr mit den Besuchern der East Side Gallery teilen wollte und ihn deshalb auf sein Wandbild klebte. Dieser Brief vermittelte auf höchst sympathische Weise in einem gebrochenen Deutsch die Freude eines Leningraders über die Ereignisse am 9. November 1989.
Während der Restaurationen und den immer wieder auftretenden Beschreibungen und Zensuren verlor der vormals lesbare Brief an der Mauer seinen kulturellen Wert und besteht heute nur noch aus einem undefinierbaren Flickwerk aus Schwarz und Weiß.
Zitat
Lieber Gerhard! Ich habe sehr gefreut mich, wenn ich habe Deinen Brief erhalt. Jetzt ich habe viel zu tun. Meine Arbeit …. Und ich jetzt zu Dir beglückwünschen. Wir wundern sich!!! Berliner Wand ist zerstört. Es ist wunderbar! In DDR Perestroika hat vorgegangen in 8 Tagen. Ich gratuliere alles Deutsche Volk. zu diesem Ereignis. …“
Oleg Gorsanow, Leningrad, 1.11.1989